Aktuelles

Ohne Approbation kein Lohn

- alles für "lau"?-

Das Arbeitsgericht Berlin hatte sich Sommer diesen Jahres (2023) mit einem kuriosen Fall zu beschäftigen. Der Kläger war als angestellter Arzt in einem Krankenhaus beschäftigt. Bereits im März wurde jedoch dessen Approbation wegen Zweifeln an seiner gesundheitlichen Eignung für den Arztberuf durch das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit des Landes Brandenburg ruhend gestellt, was bedeutete, dass er ab diesem Zeitpunkt theoretisch seiner Tätigkeit als Arzt nicht mehr nachkommen durfte. Das Krankenhaus blieb jedoch über das Ruhen der Approbation in Unkenntnis, weshalb der Kläger noch nach März 2023 an „sage und schreibe“ 1.053 Operationen als Arzt beteiligt war.

Erst Ende Februar 2022 informierte der Kläger dann das Krankenhaus über das angeordnete Ruhen der Approbation, was jedoch zur Folge hatte, dass das Krankenhaus dem Kläger für den Monat 2022 keine Vergütung mehr zahlte. Deshalb verklagte der Arzt das Krankenhaus auf Lohnzahlung. Dies beeindruckte das Krankenhaus jedoch wenig und ging seinerseits in die Offensive und forderte von dem Kläger die in den letzten sechs Monaten gezahlte Lohnvergütung komplett zurück!

Tatsächlich ließ das Arbeitsgericht Berlin dann aber den Kläger im Regen stehen, obwohl im Volksmund oft die Meinung vorherrscht, dass die Gerichte eher den Arbeitnehmer als den Arbeitgeber schützen.

Ein Gehalt für den Monat März 2022 sollte dem Kläger danach nicht zustehen und das Gehalt der letzten sechs Monate sollte er auch zurückzahlen. Rechtlich sei der Fall nämlich so zu bewerten, dass die Arbeitsleistungen des Arztes als faktisch nicht erbracht zu sehen wären und ihm von daher auch keine Lohnvergütung zugestanden hätte.

Fazit:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlins wirkt auf den ersten Blick befremdlich. Auch wenn der Arzt sämtliche Leistungen ordnungsgemäß erbracht hatte, ihm Behandlungsfehler usw. nicht vorzuwerfen waren und dem Arbeitgeber diese Leistungen zugutekamen, da er sie gegenüber den Patienten bzw. den Krankenversicherungen abrechnen konnte, geht der Arzt leer aus.

Tatsächlich reiht sich das Arbeitsgericht mit dieser Rechtsprechung aber in die bereits aus anderen Bereichen bekannte Rechtsmeinung anderer Obergerichte ein. Danach kann eine Leistung, für welche eine besondere Erlaubnis erforderlich ist, nur als vertraglich geschuldete Arbeitsleistung angesehen werden, wenn diese Erlaubnis auch tatsächlich vorliegt. Ansonsten schuldet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für seine Dienste nichts.

Noch ist die Sache nicht rechtskräftig. Der Kläger kann noch Berufung einlegen. Es bleibt von daher weiter spannend. Denn zumindest dürfte fraglich sein, ob die Lösung des Arbeitsgerichts tatsächlich interessengerecht ist oder nicht doch eine Übervorteilung des Krankenhauses darstellt.

 

Steffen Eckhard

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

Fachanwalt für Strafrecht

Ruhen der Approbation

Ärztin im Wahn

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München entschied am 17.6.2020 über die Beschwerde einer Gynäkologin gegen das Ruhen ihrer Approbation.

Die Ärztin betreibt eine eigene Facharztpraxis. Im Mai 2019 wurde sie nach einem Suizidversuch in ihrer Praxis vorläufig ins Krankenhaus eingewiesen. Dort wurde ihr selbstgefährdendes Verhalten diagnostiziert. In einem anschließenden Sachverständigengutachten wurde festgestellt, dass die Ärztin an einer wahnhaften Störung leide und auch eine Fremdgefährdung nicht auszuschließen sei. Ein Strafverfahren gegen sie wegen der Verbreitung von Beleidigungen über Facebook wurde eingestellt, weil sie als schuldunfähig betrachtet wurde.

Daraufhin wurde angeordnet, dass die Approbation der Ärztin ruhen solle. Das Ruhen der Approbation kann nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen der Approbationserteilung nachträglich wegfallen. Die beiden wichtigsten Gründe für die Anordnung des Ruhens der Approbation sind zum einen ein Verhalten, mit dem der Arzt sich als unwürdig oder unzuverlässig zur Ausübung des ärztlichen Berufs erwiesen hat, zum anderen die mangelnde Eignung in gesundheitlicher Hinsicht. Das akute Vorliegen einer psychischen Erkrankung führt, zumindest, wenn es wie vorliegend mit fremdgefährdendem Verhalten einhergeht, zu einer Ungeeignetheit für den ärztlichen Beruf, um das Wohl der Patienten nicht zu gefährden.

Die Ärztin vertrat im Gerichtsverfahren aber die Ansicht, dass es gar nicht notwendig gewesen wäre, ihre Approbation ruhen zu lassen. Sie hätte auch, um ihre Patienten zu schützen, einen weiteren Arzt einstellen oder sich in ärztliche Behandlung begeben können.

Diese von der Ärztin vorgeschlagenen Maßnahmen können aber nicht das Ruhen der Approbation ersetzen. Die Einstellung eines anderen Arztes kann eine Möglichkeit sein, die Praxis während der Berufsausübungspause nicht schließen zu müssen. Durch einen neuen Mitarbeiter ist die Ärztin aber nicht wieder fähig, selbst Patienten zu behandeln. Auch der Beginn einer Therapie stellt nicht stante pede die Gesundheit wieder so her, dass Patienten gut behandelt werden können.

Natürlich sollten gesundheitliche Probleme trotzdem behandelt werden – auch für die berufliche Zukunft. Denn die Approbation ruht nur und wurde nicht vollständig entzogen. Daher wird die Ärztin auch wieder arbeiten können, wenn ihr Zustand sich so gebessert hat, dass keine Gefährdung für sie oder für andere besteht.

Fazit: Führen Probleme mit der psychischen oder körperlichen Gesundheit dazu, dass ein Arzt seinen Beruf nicht mehr ordentlich ausführen kann, so sollte er sich, zuvorderst in seinem Interesse, um seine Genesung kümmern. Um die Schließung der Praxis zu verhindern, ist die Kontaktaufnahme zur zuständigen Behörde anzuraten – mit deren Einverständnis kann die Praxis durch einen anderen Arzt für die Zeit der Krankheit weitergeführt werden.

 

Sylvia Harms

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Medizinrecht

Fachanwältin für Arbeitsrecht

Jungpraxenprivileg und die Tätigkeit im MVZ

Nicht jung genug

Das Sozialgericht Marburg entschied über den Anwendungsbereich des sog.

„Jungpraxenprivilegs“. Geklagt hatte eine Ärztin, die ihre Anstellung in einem Medizinischen Versorgungszentrum für eine eigene Praxisniederlassung aufgab.

Die Ärztin war von 2010 bis 2015 als Ärztin in einem MVZ tätig. Im Jahr 2015 ließ sie sich in einer eigenen Praxis in derselben Stadt nieder. Für ihre eigene Praxis begehrte die Klägerin die Einstufung als "junge Praxis“. Sie begründete ihren Antrag damit, dass sie durch ihre Tätigkeit im MVZ durch geringere Plausibilitätszeiten und die Fallpauschalen gebunden gewesen sei, so dass ihre jetzige Tätigkeit nicht mit ihrer Angestelltentätigkeit vergleichbar sei. Dieser Antrag wurde von der Beklagten abgelehnt.

Das „Jungpraxenprivileg“

Die Vergütung der Ärzte erfolgt nach dem Sozialgesetzbuch und dem Honorarverteilungsmaßstab. Dabei wird das Regelleistungsvolumen aufgrund der Fallzahlen des Vorjahresquartals gebildet.

Bei frisch niedergelassenen Ärzten ist diese Herangehensweise mangels früherer Fallzahlen nicht möglich. Es wird daher eine Sonderregelung herangezogen, nach der das arztgruppendurchschnittliche Regelleistungsvolumen zugrundegelegt wird. Alternativ können bei einer Praxisübernahme auch die Fallzahlen des früheren Praxisinhabers zugrunde gelegt werden, wenn diese Zahlen für den Arzt günstiger sind.

Keine Anwendbarkeit bei vorheriger Tätigkeit im MVZ

In dem vorliegenden Fall teilte das Sozialgericht aber die Auffassung der Beklagten, dass das Jungpraxenprivileg nicht anwendbar sei. Die Sonderregelung für Jungpraxen ist nach Auffassung des Sozialgerichts in beiden Konstellationen nicht anwendbar: Sie ist dann nicht anwendbar, wenn ein niedergelassener Arzt seine Praxis in ein MVZ einbringt. Ebenso greift keine Sonderregelung, wenn, wie hier, ein in einem MVZ angestellter Arzt das MVZ verlässt und in räumlicher Nähe seine eigene Praxis gründet.

Das Sozialgericht begründete dies damit, dass auch bei einer reinen Verlegung des Standortes innerhalb eines Planungsbereichs der „Anfängerstatus“ nicht erneut herangezogen gelegt wird. Denn ein bereits praktizierender Arzt benötigt nicht mehr die Chance durch Qualität und Attraktivität seiner Behandlung oder auch durch bessere Organisation seiner Praxis neue Patienten für sich zu gewinnen. Andernfalls könnte ein langjährig zugelassener Arzt erneut einen Anfängerstatus erlangen oder sich ein MVZ durch die Aufnahme neuer Ärzte „verjüngen“. Im vorliegenden Fall kam noch erschwerend hinzu, dass die bisher von der Klägerin ausgeübte Fachrichtung durch ihren Austritt aus dem MVZ ausgegliedert wurde, sodass die Klägerin auch ihre Patienten mitnehmen konnte.

 

Joachim K. Mann

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

Verjährung bei Behandlungsfehlern

Wenn ich das gewusst hätte …

Der Bundesgerichtshof hat am 26.05.2020 über den Ablauf von Verjährungsfristen in Arzthaftungsprozessen entschieden.

Die Verfahrens-Konstellation

In dem zugrundeliegenden Verfahren ging es um Ansprüche eines Kindes, das Behandlungsfehler bei seiner Geburt erlitten hatte. Drei Jahre nach der Geburt des Kindes forderten die Anwälte der Familie die Dokumentation aus dem Krankenhaus an. Als das Kind sieben Jahre nach seiner Geburt seine Ansprüche geltend machen wollte, sah das unterinstanzliche Gericht diese als verjährt. Der BGH hingegen entschied anders.

Was bedeutet Verjährung?

Das Rechtsinstitut der Verjährung soll Rechtssicherheit herstellen. Dazu sind im Zivilrecht bestimmte Zeitabschnitte festgeschrieben, innerhalb derer Ansprüche geltend gemacht werden können. Nach Ablauf dieser Zeit kann derjenige, gegen den der Anspruch erhoben wird, mit Hinweis auf die Verjährung die Erfüllung des Anspruchs verweigern. Um Ungerechtigkeiten vorzubeugen, beginnt die Verjährungsfrist erst, wenn der Anspruchsinhaber positive Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hat. Die Verjährung beginnt aber auch dann, wenn er grob fahrlässig versäumt hat, Kenntnis zu erlangen. Grobe Fahrlässigkeit wiederum bedeutet (vereinfacht) einen schweren und nicht entschuldbaren Verstoß gegen Sorgfaltsanforderungen.

Sind die Ansprüche verjährt, wenn Behandlungsunterlagen nicht eingesehen werden?

Der Patient weiß nicht schon dann vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers, wenn er den negativen Ausgang einer ärztlichen Behandlung erkennt. Er muss auch den kausalen Zusammenhang zwischen der Behandlung und dem Misserfolg erkennen. Dafür allerdings muss er auch als medizinischer Laie die Tatsachen kennen und verstehen, aus denen sich ergibt, dass der Arzt nicht nach dem ärztlichen Standard gearbeitet hat.

Wenn ein geschädigter Patient anwaltlich vertreten ist, ist es ausreichend, dass der Anwalt positive Kenntnis in diesem Sinne hat. Denn die Kenntnis eines Anwalts wird dem Mandanten zugerechnet.

Der BGH stellte aber klar heraus, dass der Patient nicht zu einem möglichst frühen Zeitpunkt Initiative ergreifen muss, um den Schadenshergang zu klären. Er muss sich nicht selbst medizinisches Fachwissen aneignen oder gesondert Informationen zusammentragen. Das sollte er erst tun, wenn er tatsächlich Klage erheben will - würde er das bereits früher tun, würde das schließlich nur dem Anspruchsgegner dienen, da dieser von der Verjährung profitiert. Der Patient muss sich selbst dann nicht in verjährungsauslösender Weise mit seinem Anspruch beschäftigen, wenn er die Krankenunterlagen bereits besitzt. Denn sofern es sich nicht um für den Laien feststellbare Tatsachen wie etwa den Namen des behandelnden Arztes handelt, können auch Krankenunterlagen ohne Fachwissen nicht unmittelbar verwertet werden.

Zusammenfassung

Der BGH hat in seinem Urteil festgestellt, dass die Verjährungsfrist nicht etwa in dem Zeitpunkt beginnt, in dem ein Patient seine Krankenunterlagen erhält und sich somit theoretisch mit ihnen beschäftigen könnte. Erst ab dem Zeitpunkt, in dem tatsächlich mit den Unterlagen gearbeitet wird, kann der Patient Kenntnis von anspruchsbegründenden Tatsachen erlangen.

 

Sylvia Harms

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Medizinrecht

Fachanwältin für Arbeitsrecht

 

Erhöhte Anforderungen an den Patienten im Berufungsverfahren

Klagen bildet!

Das Oberlandesgericht Dresden konkretisierte im Mai 2020 die Anforderungen an die Berufung eines Patienten im Arzthaftungsprozess.

Patientenfreundlichkeit des Arzthaftungsprozessss

Im Grundsatz ist der Arzthaftungsprozess patientenfreundlich ausgestaltet. Der Bundesgerichtshof hat immer wieder das Informationsgefälle zwischen Arzt und Patient betont und daraus hergeleitet, dass der Patient im Prozess nur „maßvoll“ seine Behauptungen belegen muss. Im Ergebnis bedeutet dies in den meisten Fällen, dass der Patient lediglich darlegen soll, aus welcher Behandlung der Arztfehler hergeleitet wird und welcher Schaden dem Patienten daraus erwachsen sein soll. Eine genaue Kenntnis der konkreten medizinischen Behandlungsmethoden und Wirkungszusammenhänge wird hingegen nicht erwartet.

Erhöhte Anforderungen im Berufungsverfahren

Diese Erleichterungen gelten aber nach dem Oberlandesgericht Dresden nicht uneingeschränkt im Berufungsverfahren! Denn während in der ersten Instanz das Problem besteht, dass der Patient erstmals ein „Gerüst“ für seine Behauptung aufstellen muss, gab es in der Berufungsinstanz bereits einen Prozess, in dem die medizinischen Vorgänge erklärt und durch Sachverständige bewertet wurden. Der Patient kann sich daher nicht mehr auf seine Laienhaftigkeit berufen. Er muss vielmehr im Berufungsverfahren mit dem arbeiten, was im ersten Prozess herausgefunden und im Urteil dargestellt wurde. Für eine erfolgreiche Berufung muss er dem Gericht mitteilen, an welcher Stelle das erste Urteil seiner Meinung nach den Sachverhalt nicht richtig erfasst oder falsch gewertet hat. Zu diesem Zweck hat der Patient sich auch mit einem bereits erstatteten Gutachten auseinanderzusetzen. Dafür kann er einen Privatgutachter beauftragen oder selbst tätig werden - auch dann muss er sich allerdings substantiiert mit medizinischer Fachliteratur auseinander setzen.

Aufklärung nicht durch den Spezialisten selbst

In demselben Urteil hat das Oberlandesgericht Dresden sich auch nochmals mit dem problembelasteten Thema „Aufklärung“ auseinandergesetzt und auch hier arztfreundlich entschieden. Es stellte nämlich klar, dass an die Aufklärung und insbesondere an die aufklärende Person keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Zwar muss die aufklärende Person die theoretischen Kenntnisse haben, um die Aufklärung durchzuführen. Sie muss aber nicht auch die für den Eingriff notwendige praktische Erfahrung haben. Das begründete das Oberlandesgericht mit der Beibehaltung der in der Praxis üblichen Arbeitsteilung und damit, dass vor allem Spezialisten nicht mit rein administrativen Aufgaben überlastet werden sollen.

Fazit: Im erstinstanzlichen Verfahren bleibt es dabei - der Patient muss nicht (viel) liefern. Im Berufungsverfahren aber wurde der Patient bereits durch den ersten Prozess „vorgebildet“. Er muss sich daher mit den gewonnenen Erkenntnissen fundiert auseinandersetzen.

Joachim K. Mann

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

Zumutbarkeit des ärztlichen Bereitschaftsdienstes trotz schlechter Ausstattung

Besser schlecht als gar nicht.

Das Sozialgericht Marburg entschied mit Urteil vom 20.07.2020 über die Zumutbarkeit ärztlichen Bereitschaftsdienst in der Bereitschaftsdienstzentrale vorzuschreiben.

Eine Augenärztin hatte sich beschwert, dass sie zum Bereitschaftsdienst in der Bereitschaftsdienstzentrale herangezogen wurde, anstatt in ihrer eigenen Praxis behandeln zu dürfen. Sie brachte zum Einen vor, dass auf diese Weise die Situation für die Patienten an ihrem Praxissitz schlechter sei, zum anderen, dass ihre eigene Praxis weitaus besser als die Zentrale eingerichtet sei. Die Kassenärztliche Vereinigung entgegnete, dass der betreffende Bereitschaftsdienst ein großes Gebiet umfasse, in dessen geografischem Mittelpunkt die Zentrale liege. Daher sei auch nur an diesem Ort eine gleichmäßige, bedarfsdeckende Erreichbarkeit für Patienten aus dem gesamten Einzugsgebiet sichergestellt.

Das Sozialgericht schloss sich der Aussage der Vereinigung nach einer Abwägung der Interessen beider Parteien an. Es bezog sich dabei auf die vom Bundessozialgericht getroffenen und somit bundesweit geltenden Grundsätze zu den Bereitschaftsdienststrukturen. Zunächst ist festzuhalten, dass der Bereitschaftsdienst der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung rund um die Uhr dient. Aus diesem Grund ist der Bereitschaftsdienst auch keine neu auferlegte Pflicht für Vertragsärzte, sondern lediglich eine Konkretisierung ihrer vertragsärztlichen Tätigkeit. Der Bereitschaftsdienst ist daher auch keine neue Einschränkung der grundrechtlich zugesicherten Berufsfreiheit. Dieser Einschätzung des Bundessozialgerichts kann nicht entgegengehalten werden, dass der Bereitschaftsdienst außerhalb der Sprechstunde stattfindet. Denn durch den solidarisch organisierten Bereitschaftsdienst wird der einzelne Arzt von der täglichen und jederzeitigen Dienstbereitschaft entlastet und muss nur zu den festgelegten Zeiten den Notfalldienst leisten. Der organisierte Notdienst ist somit weniger einschneidend.

Das Sozialgericht betonte weiterhin, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen ihren Notdienst selbständig ausgestalten können. Solange keine sachfremden Erwägungen zu Grunde liegen, darf also auch durchaus ein zentraler Ort bestimmt werden, an dem der Dienst absolviert werden muss. Ein weitläufiges Einzugsgebiet kann dabei ein solch tauglicher Grund sein.

Eine Befreiung eines einzelnen Arztes von dem Bereitschaftsdienst ist nur nach Maßgabe der Bereitschaftsdienstordnung möglich. Ein Befreiungstatbestand kann etwa die Unzumutbarkeit der Teilnahme sein. Unzumutbarkeit liegt aber nur vor, wenn der Bereitschaftsdienst für den einzelnen Vertragsarzt über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit sich bringt. Die Tatsache, dass die Augenärztin die schlechter ausgestattete Zentrale anstatt ihrer Praxis nutzen muss, ist keine individuelle Belastung und sie widerspricht auch nicht dem Zweck des Bereitschaftsdienstes. Der Bereitschaftsdienst soll eine grundlegende, nicht hingegen eine optimale und umfassende Versorgung außerhalb der Sprechstundenzeiten sicherstellen. Er soll die sprechstundenfreie Zeit überbrücken und die Patienten anschließend zur Weiterbehandlung den regulären Ärzten bzw. in akuten Fällen der stationären Versorgung überlassen. Dafür reicht nach dem Sozialgericht auch eine minderwertig ausgestattete Praxis.

 

Sylvia Harms

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Medizinrecht

Fachanwältin für Arbeitsrecht

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